Was die meisten Menschen als ihre Persönlichkeit bezeichnen, ist nur die Ansammlung von positiven und negativen Erlebnissen, welche sie während ihres Lebens hatten, plus ein bisschen Genetik. Diese Dinge bilden den Charakter, aber noch keine eigenständige oder selbstgewählte Persönlichkeit. Denn bislang ist man nur eine Zusammenwürfelung äußerer Umstände. Zwar kann man sich durch die individuelle Fremdbestimmung durchaus als Einzigartig verstehen, mehr aber auch nicht. Das ist überspitzt formuliert, trifft aber den Kernpunkt, warum eine Persönlichkeitsentwicklung notwendig ist.

Was normalerweise unter Persönlichkeitsentwicklung verstanden wird, ist der Werdegang zu einem beruflich erfolgreichem und partnerschaftlich erfülltem Leben. Über ein Coaching mit Motivationstrainern bekommt man erklärt, wie man seinen Tag effektiv plant und natürlich sein Glück maximiert. Einiges davon ist brauchbar - anderes hingegen wirkt vielmehr wie eine Anleitung dazu, eine gute Maschine zu werden.

In diesem Text wird nichts davon aufgegriffen, sondern vielmehr der Kern behandelt. Also nicht die offensichtliche äußere Veränderung mit Tagesplänen und Durchhaltevermögen, sondern die innere Einstellung zu sich selbst. Wenn man daran arbeitet, verändert sich die Persönlichkeit. Das wiederum verändert die eigene Sichtweise und kann zu neuen Wertvorstellungen führen und somit zu einem völlig neuen Menschen.

Nun, wie soll das funktionieren? Indem man seiner Vergangenheit mehr Beachtung als bisher schenkt. Eigene Erlebnisse - egal ob positiv oder negativ - werden meistens nur subjektiv, also abhängig von dem was man in diesem Moment gefühlt und gedacht hat, betrachtet. Allerdings sollte man lernen, besonders prägende Ereignisse zu hinterfragen und nicht nur zu konsumieren. Man muss herausarbeiten, was tatsächlich passiert ist, wie genau es abgelaufen ist, wie man sich selbst verhalten hat und wie die anderen Beteiligten eingebunden waren. Genauso ist es wichtig, seine Gedanken und Gefühle in dieser Situation nochmals zu reflektieren und die gesamte Situation zu analysieren.
Das kann prinzipiell jeder, aber aus fehlendem Interesse, Zeitgründen oder weil es zu schwierig erscheint, wird es gar nicht oder nur sehr selten getan. Die meisten Menschen erinnern sich eben daran, wie die Situation aus ihren Augen abgelaufen ist, und das war es auch schon.


Um was geht es aber nun bei der Persönlichkeitsentwicklung? In erster Linie darum, Vergangenes aufzuarbeiten bzw. Traumabewältigung, um mit alten Erlebnissen abzuschließen und ein wesentlich freierer Mensch zu werden.

Mit Trauma meine ich nicht unbedingt eine Vergewaltigung in der Kindheit oder andere schwere Misshandlungen. Als Trauma definiere ich alles, was einen in der Vergangenheit negativ geprägt hat und bis zum jetzigen Tag anhält. Ob Mobbing während der Schulzeit, welches das Selbstvertrauen beeinträchtigt hat, der Tod eines geliebten Menschen oder Tieres, Überforderungen im Alltag oder all die anderen negativen Dinge, die einem im Leben begegnen können. Alles kann ein Trauma auslösen, was nur darauf wartet, in ungünstigen Situationen zum Vorschein zu kommen. In den meisten Fällen merken wir nicht, dass es noch da ist, sondern haben es verdrängt. Nur wenn du darauf achtest und auch auf das hörst, was dir Freunde und Familie sagen, bemerkst du es. Wenn sie dir sagen, dass du dich irrational benimmst, aus einer Mücke einen Elefanten machst, in diesem Punkt eigen bist oder empfindlich reagierst, dann kann das ein entscheidender Hinweis sein. Die Umschreibungen für so eine Situation sind umfangreich, aber meistens auf das Gleiche zurückzuführen. Auf ein Trauma.
Kleine Anreize reichen aus, um ein altes Gefühl wieder nach oben zu holen. Das können Gespräche und Situationen sein, aber genauso auch einzelne Worte, Töne, Mimiken, Gestiken, Gerüche und noch vieles mehr. Es ist einfach das, was man primär mit der alten Situation verbindet und das kann alles sein, was man wahrnimmt. Vielleicht das Lachen eines Menschen, das sich so anhört wie das Auslachen in der Schule oder ein Unterton in der Stimme, den man mit Beleidigungen verknüpft, weswegen man sofort in eine Angriffshaltung wechselt - also empfindlich reagiert.

Grundsätzlich muss ein Trauma nicht ausgelöst werden, sondern es kann auch fest in Verhaltensweisen übergegangen sein. Häufig ist das bei Menschen zu beobachten, die sich in ihre Arbeit vergraben. Diese Leute haben in den seltensten Fällen ein klares Ziel vor Augen. Normalerweise suchen sie nach Bestätigung oder nach Ablenkung von ihren Problemen, die sie sonst einholen würden. Dabei sind sie höchst effizient und funktionieren wie Maschinen, da sie sich völlig auf das Verbleibende, was sie kontrollieren können, konzentrieren. Dadurch werden sie in ihrer Arbeit unentbehrlich und haben das Gefühl, etwas Wichtiges zu tun. Dies hilft ungemein dabei, den Schmerz aus früheren Zeiten zu vergessen, oder zu verdrängen, dass der Partner zu Hause kaum etwas mit einem gemeinsam hat und man sich den eigenen Kindern fremd fühlt.

Es gibt auch die umgekehrte Form eines Traumas, welche über positive Einflüsse funktioniert, die so stark sind, dass man beispielsweise anfängt, bestimmte Menschen, die es nicht verdient haben, positiv zu diskriminieren oder Idolen nachzueifern, die keine sein sollten. So kann es passieren, dass man Eigenschaften seines verstorbenen und geliebten Vaters in einer anderen Person sieht und dieser daraufhin folgt, selbst wenn es einem schadet. Andere Möglichkeiten sind auch eine Überbehütung in der Kindheit, wodurch man sich als Erwachsener kaum etwas zutraut oder ein Vorgaukeln einer heilen Welt durch die Eltern, weswegen man später mit der traurigen Realität nicht klar kommt.

Die Liste geht natürlich noch lange weiter und es dürfte nun deutlich geworden sein, dass jeder Mensch mehr als ein Trauma mit sich herumträgt. Es ist also normal und alltäglich, aber natürlich kein Grund, es abzutun. Denn nur wenn du dich der Situation stellst, kannst du ein freies Leben führen und dein eigenes Schicksal selbst bestimmen.


Je nach Tiefe des Traumas und der eigenen Position kann es auch größere Auswirkungen haben. Ein klassisches Beispiel bietet der Politiker Wolfgang Schäuble, der wegen eines Anschlags auf sein Leben durch einen geistig Verwirrten im Rollstuhl sitzen muss. Egal, ob er gerade den Posten des Innenministers besetzt oder nicht, er ist ein Kämpfer für die Sicherheit und gegen den Terror, welcher in seinen Augen überall zu finden ist: Jeder könnte eine Bedrohung sein und wir alle sind in Gefahr, weswegen wir möglichst viel Überwachung brauchen. So ein Mensch ist natürlich ein gefundenes Fressen für Geheimdienste, die ihre Befugnisse ausweiten wollen. Dieses Trauma schränkt also nicht nur ihn selbst ein, sondern hat Auswirkungen auf die gesamte deutsche Gesellschaft. Zugegeben, er ist nicht der einzige Minister, der sich beständig für Überwachung einsetzt, aber er ist doch derjenige, bei dem man am leichtesten Vermutungen für die Gründe anstellen kann.


Damit dir so etwas nicht passiert, musst du dich mit deinem Trauma konfrontieren und nach allen erlebten Situationen suchen, die damit zu tun haben. Normalerweise bringt das auch längst vergessenen Schmerz zum Vorschein, der dich dazu drängt, lieber wieder damit aufzuhören anstatt noch weiter zu suchen. Das kannst du auch getrost tun, solange du zu einem anderen Zeitpunkt damit weitermachst. Es ist dann sehr anzuraten, die Dinge, die du bis dahin herausgefunden hast, aufzuschreiben und wenn es nur einzelne Worte sind, die damit zusammenhängen. Sonst kann es sein, dass dein Unterbewusstsein, das mühsam Hervorgeholte wieder verschließt, diesmal vielleicht sogar effektiver als davor, damit du die Schmerzen nicht noch einmal ertragen musst.
Während dieses Prozesses, lernst du auch automatisch den Umgang mit deinen Gefühlen. Sowohl der Schmerz als auch andere Gefühle erscheinen beim ersten Mal kaum beherrschbar. Je häufiger man sich aber dieser Situation gedanklich stellt, wird es immer leichter und kontrollierbar. Nebenbei ist es eben dieser Schmerz, der dafür verantwortlich ist, dass man nach einfachen Lebenszielen sucht und nicht intensiver nachdenkt. Würde man mit offenen Fragen dazu was richtig und falsch ist vor sich hinleben, hätte das leicht Ziellosigkeit und Depression zur Folge.

Hast du nun erste Traumata aufgearbeitet und bist damit insgesamt freier geworden, hat das direkte Auswirkungen auf deine Persönlichkeit. Ein äußerst perfektionistischer Mensch, der die Zusammenhänge aufgearbeitet hat, die mit diesem Perfektionismus zusammenhängen, kann diesen nun ablegen und seinen anderen Eigenschaften mehr Beachtung schenken. Ein pflichtbewusster und treuer Mitarbeiter kann wieder zu einem Menschen werden, wenn er feststellt, dass diese Eigenschaften nur durch den elterlichen Drill entstanden sind.
Es entsteht ein neues Selbstbild. Die Situation, der du damals vielleicht hilflos gegenübergestanden bist, hast du nun verstanden. Du weißt, was du falsch gemacht hast, was du richtig gemacht hast und wie du diese Situation zukünftig besser lösen kannst. Oder du akzeptierst, dass es so gekommen ist und nicht anders. Genau das macht dich stark für zukünftige Situationen, denen du deutlich selbstbewusster als zuvor gegenübertreten kannst, da du dir nun zutraust, sie auch zu lösen. Daneben gibt es jetzt eine Thematik mehr, über die du offen reden kannst und die nicht zu einem Abblocken deinerseits führt. Es gibt nicht mehr den Geruch, das Geräusch oder das Lied, wegen dem du sofort gehen willst. Das alles erinnert dich nur an eine alte Situation, die du hinter dir lassen konntest, und damit bist du freier als zuvor.

Auf diese Weise kannst du Stück für Stück immer weitere Traumata aufarbeiten. Da einige davon tief versteckt sind und sich über die Jahre auch neue bilden, wird die Vergangenheitsbewältigung ein lebenslanger Prozess, welcher erst mit dem Tod endet oder dem Übergang dorthin. Das mag sich nach viel Arbeit anhören, allerdings lohnt sich diese auch. Mit jedem aufgearbeiteten Trauma kannst du dich mehr aus den Fängen der Vergangenheit befreien und damit endlich der Zukunft zuwenden und diese gestalten.
Sich selbst zu verbessern und die Welt zu verbessern gehen Hand in Hand.

Anmerkung:
Würde man diesen Text in Kurzform zusammenfassen, so wäre es: Alle Menschen sind psychisch krank und müssen sich deshalb therapieren. Eigentlich also ein Thema, über welches Psychologen viel mehr sagen könnten. Was diese Form der Traumabewältigung von der Psychologie unterscheidet ist, dass sie einen Sinn im Leben mit der Psychologie vereint. Philosophie und Psychologie stehen hier auf Augenhöhe und brauchen einander, um eine Existenzberechtigung zu haben. Die Psychologie alleine greift bislang in Deutschland nur bei Menschen ein, die ohne Hilfe nicht mehr in dieser Welt leben können. Also Menschen mit Burn-Out-Syndrom, Verlustängsten, Wutausbrüchen usw., wegen denen sie nicht mehr oder nur sehr schwer ihr vorheriges Leben weiterführen können. Dort versuchen Psychotherapeuten im Idealfall, Menschen wieder zurück in die Gesellschaft zu führen, indem sie auf unterschiedlichste Weise die Probleme aufarbeiten und lösen. Für alle Menschen gibt es nunmal aber nicht genügend Psychologen. Daher bleibt für die „gesunden“ Menschen nur die positive Psychologie, mit Glücksforschern zum Lachen und Motivationstraining, um leistungsfähiger im Beruf zu werden. Von Aufarbeitung ist dort aber keine Spur mehr. Daher müssen Menschen lernen ihre eigenen Therapeuten zu werden und Freunden und Partnern zu helfen, die das ebenfalls versuchen. Nur so kann es funktionieren.

Der Anspruch dabei ist allerdings nicht, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern, sondern dass jeder von sich aus lernt, diese Gesellschaft zu verstehen, Teile davon abzulehnen und es besser zu machen. Es ist also eher eine Weiterführung dessen, was die Psychologie angefangen hat. Denn glückliche Menschen in einer kranken Gesellschaft sind keine gesunden Menschen. Im Gegenteil, es sind die Menschen, die unglücklich in dieser Gesellschaft leben, welche gesund sind oder diejenigen, die sich aus der Gesellschaft ausklinken.

Da mein Wissen im psychologischen Bereich sehr viel auf Eigenerfahrung aufbaut und auf Menschen die mir ihre Geschichte erzählen, würde ich Hilfe oder auch Anmerkungen von fachkundigen Menschen zu diesem Thema sehr begrüßen.